Wartegg-Schlosspark

Einen überraschenden Anblick auf dem Bildstöckliweg bietet im Schlosspark Wartegg der Baumstrunk eines mächtigen über 150-jährigen Mammutbaums, der 2019 den zunehmend trockeneren Frühjahren zum Opfer fiel. Der meistens zu den Jahresfesten mit Blumen geschmückte Bildstock ist der Initiative des Schlossgärtners, Mathias Thalmann, zu verdanken. Inspiriert vom Baum, der prächtigen Natur des Parks, dem Marmorrelief «Pitti Mutter und Kind» von Michelangelo, wie auch aus Respekt für die alte Tradition der Bildstöcke auf den Bauernhöfen, schuf Thalmann im Park einen Ort der Besinnung als Dank für die Fruchtbarkeit der Erde. Den Baum sieht er als materielle Gestalt für den Baum des Lebens eines jeden Menschen und das Relief als Sinnbild dafür, wie uns Mutter Erde trägt und ernährt.

Als Gartenkünstler wollte Thalmann dem abgestorbenen Strunk «wieder einen Sinn geben, ihm neues Leben einhauchen». Er entschloss sich 2019 in den Baumstrunk eine Nische zu schnitzen, um darin eine Kopie des Michelangelo-Reliefs anzubringen. Die ursprüngliche Idee, davon einen Gipsabguss in die kunstvoll gestaltete Nische zu stellen, musste er fallen lassen − Gips wäre zu schnell verwittert. Es gelang ihm aber, vom Gipsabguss einen wetterfesten Bronzeabguss des Marmorreliefs anfertigen zu lassen. Und so kann nun eine Kopie des weltbekannten Marmorreliefs, das Michelangelo 1503/04 für die Adelsfamilie Pitti in Florenz geschaffen hat, nicht nur im Museum Bargello in Florenz, sondern im Bildstock des Warteggparks betrachtet werden. Das einzigartige Werk mit der Madonna, dem Jesuskind und dem jungen Johannes im Hintergrund soll zum Innehalten und zur Besinnung anregen.

Das christliche Symbolbild wurde von Michelangelo, wie viele seiner berühmten Werke für die Mächtigen von Kirche und Staat, im gleichen Jahrhundert geschaffen, in welchem das Schloss Wartegg von Kaspar Blarer von Wartensee erbaut wurde. Auch die Blarer waren einst reiche Adelsleute, Kaspars Vater war Vogt von Rorschach, sein Bruder Fürstabt von St. Gallen, und er selbst war Vogt von Arbon. Die jahrhundertealte, verwitterte Maria mit Kind-Statue, die in einer Nische des Nordflügels über dem westlichen Eingang zum Schloss steht, zeugt noch heute davon, wie eng die Verbindung von Kirche und Staat einst war und wie christliche Traditionen von den Herrschenden bis zum einfachen Volk in unserem Land verankert waren. Diese schlichte Statue schlägt eine Brücke zum Relief im Baumstrunk, das als Bildstock das religiöse Empfinden und die Lebensart früherer Generationen den heutigen Menschen näherzubringen und einen Impuls für die heutige Zeit zu vermitteln vermag.

Impuls

Der Baum des Lebens

Mutter Erde
du trägst uns,
du ernährst uns,
du befruchtest
unser Leben.
Unsere Saaten lässt du
gedeihen, reifen,
und schaffst aus dem Tode
ein ewig neues Leben.
Aus deinem Wachstum
und deiner Kraft schöpfen wir Hoffnung
und Zuversicht,
Früchte
am Baum
des Lebens.

Mathias Thalmann